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Fakultät Raumplanung

DFG-Projekt „Themenkarrieren in der Planungs­wissenschaft“ (2014 – 2019)

Obwohl sich rückblickend in der Planungs­wissenschaft wiederholt Auf- und Abschwünge einzelner Modethemen im Zeitverlauf beobachten lassen, waren Themenkarrieren bisher nicht umfassend und systematisch Gegenstand einer reflektierenden Untersuchung in der Planungs­wissenschaft. Hier setzt das neue Forschungsvorhaben des Fachgebiets Raumordnung und Planungstheorie an und befasst sich mit der grundsätzlichen Frage, wie Themen im wissenschaftlichen Diskurs der Raumplanung entstehen.

Anknüpfend an Ansätze aus der Wissenschaftssoziologie wird anhand der Beispiele ‚Klimawandel‘ und ‚Schrumpfende Städte‘ die Karriere von Themen in der Planungs­wissenschaft in den kommenden drei Jahren exemplarisch untersucht.

© A. Gravert

Themenkarrieren in den Planungswissenschaften

Die Planungs­wissenschaft hat sich seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu einer in Theorie und Praxis anerkannten Disziplin entwickelt. Ihre Weiterentwicklung zeigt sich in der Reifung von einer technokratisch verstandenen Wissenschaft, die Planung als lineares zukunftsgerichtetes Verfahren zur Reduktion von Komplexität und zur Optimierung von Entscheidungsprozessen interpretierte, hin zu einer interpretativ-kommunikativen Disziplin mit zunehmender Skepsis gegenüber synoptischen Planungsidealen.

Aus der Wissenschaftssoziologie ist bekannt, dass Regelsysteme und soziale Strukturen einen entscheidenden Beitrag zur Themenentwicklung in einer Disziplin leisten. Gleichzeitig ist die Karriere eines Themas wesentlich durch externe Einflüsse geprägt, auch in der Raumplanung. Themen durchlaufen einen Entwicklungsprozess, der unterschiedlich aussehen kann. Idealtypische zyklische Verläufe von Themenkarrieren können vereinfacht mit aufeinanderfolgenden Phasen des Durchbruchs, der Kulmination und der Ermüdung beschrieben werden. Ein Thema wird hier in Anlehnung an Konzepte aus der Kommunikationssoziologie als ein inhaltliches und kommunikatives Bezugssystem verstanden, die "Themenkarriere" als sozial determinierter Entwicklungsprozess.

In planungswissenschaftlichen Arbeiten steht oft der Prozess der Planerstellung und der Planumsetzung im Mittelpunkt. Themenkarrieren sind dagegen bisher nur selten Gegenstand reflektierender Untersuchungen. Dabei lässt sich generell feststellen, dass ganz unterschiedliche Themen in der Planungs­wissenschaft in den letzten Jahren zeitweise eine markante Rolle gespielt haben – dazu zählen z.B. Nachhaltigkeit, Klimawandel, Soziale Stadt, Metropolregionen und schrumpfende Städte. Untersuchungen, warum einzelne Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt aufkommen und später wieder abklingen, liegen für die Planungs­wissenschaft aber bislang nicht vor. Damit fehlt es auch an kausalen Modellen, die erklären könnten, warum ein Thema eine besondere planungswissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt. Zwar besitzen die oben beispielhaft genannten Themen augenscheinlich eine über das Planungsumfeld hinausgehende Relevanz, es kann aber weder der Auslöser, noch der Zeitpunkt oder der Verlauf einer Themenkarriere ohne weiteres nachvollzogen werden. Dabei ist auch zu beachten, dass die Planungs­wissenschaft thematische Anknüpfungspunkte an einen breiten politischen und gesellschaftlichen Kontext aufweist und durch ihren vergleichsweise starken Anwendungsbezug normative Aspekte und politische Rahmensetzungen bei der Themenauswahl und -karriere eine erhebliche Rolle spielen. Forschungsansätze, die zur Untersuchung von Themenkarrieren in der Planungs­wissenschaft dienen können, finden sich vorwiegend in den Sozialwissenschaften. Es lassen sich dabei zwei komplementäre Schwerpunkte erkennen, die allerdings durchaus miteinander verknüpft werden können: Zum einen Ansätze mit einem Fokus auf inhaltliche Sinnzusammenhänge, zum anderen Ansätze mit einem Fokus auf den strukturellen Kontext. Der ersten Gruppe mit Fokus auf inhaltliche Sinnzusammenhänge lassen sich eine Reihe diskurs- und inhaltsanalytischer Forschungsansätze zuordnen: Mit dem communicative turn hat seit den 1980er Jahren die planungstheoretische Anerkennung der sozialen Konstruktion von Wissen Einzug in die Planungs­wissenschaft gefunden. Damit haben auch diskursanalytische Ansätze in der Tradition von Michel Foucault eine erhöhte Aufmerksamkeit innerhalb der Planungs­wissenschaft erfahren. Ihnen geht es um eine Analyse des diskursiven Herstellungskontextes für bestimmte Sinnzusammenhänge in der Planung. Die stärker inhaltsanalytisch ausgerichteten Forschungsansätze untersuchen Sinnzusammenhänge weniger in Hinblick auf ihren diskursiven Herstellungskontext sondern stärker auf ihre inhaltlichen Bezüge. Als wegweisend ist der Vorstoß von Hesse zu nennen, der im Rahmen einer thematischen Empfehlung an die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) Themenkarrieren in der Raumplanungswissenschaft anhand von zwei Fallbeispielen untersucht hat: erstens anhand der Themenwahl der wissenschaftlichen Plenarsitzungen der ARL und zweitens anhand des Themas „Metropolregionen“. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass in beiden Fallbeispielen der planungswissenschaftliche Diskurs wesentlich durch externe Faktoren bestimmt wird und schlägt eine weiterführende Diskussion der Entstehungsbedingungen, der gesellschaftlichen Kontexte und der diskursiven frames von Politik- und Planungsprozessen mit dem Ziel vor, die Themenrelevanz auf den Prüfstand zu stellen.

KontaktProf. Dr. habil. Thorsten Wiechmann

                  Dr.  Andreas Gravert

                  Dr. Marian Günzel

Projektlaufzeit: 10/2014 - 03/2018

Forschungsbedarf und Zielstellung des Projektes

Themenkarrieren in der Planungs­wissenschaft wurden in Hinblick auf ihre inhaltlichen Bezüge im Zusammenspiel mit ihren strukturellen sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen bisher nicht umfassend und systematisch untersucht. Dennoch lässt sich eine Reihe von Anknüpfungspunkten für eine umfassende Untersuchung erkennen. So erscheint eine Analyse sowohl inhaltlicher Bezüge als auch struktureller sozialer und institutioneller Rahmenbedingungen lohnend.

Tabelle © Gravert et al. 2012
Entwicklung der Publikationen zu ausgewählten Themenkomplexen der Stadtentwicklung

Themen in der Planungs­wissenschaft wirken auf planungspolitische Vorgaben und Institutionen, auf planungspraktische Handlungsoptionen und Strategien sowie letztendlich auf die Gestaltung und Entwicklung von Räumen. Dementsprechend sollten die Prozesse von Themenkarrieren in der Planungs­wissenschaft als integraler Bestandteil von Planungsprozessen verstanden und einer umfassenden Reflektion durch die Planungstheorie zugänglich gemacht werden. Das kann zu einer größeren Transparenz und Legitimität des Planungsprozesses beitragen, indem die jeweilige Relevanz der Themen geprüft wird sowie die sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen sichtbar gemacht werden.

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, den komplexen Prozess der fachöffentlichen Behandlung von Themen durch die Planungs­wissenschaft zu beschreiben. Dabei sollen die Phasen der Entstehung, des Durchbruchs und der Kulmination von ausgewählten Themen erfasst und Erklärungsansätze dafür entwickelt werden. Als konzeptionelle Basis dient ein Prozessmodell, das es erlaubt, Themenkarrieren in der Planungs­wissenschaft detailliert nachzuvollziehen. Die forschungsleitende Fragestellung fokussiert darauf, wie Themen in der Planungs­wissenschaft entstehen. Dazu werden zwei ausgewählte Themenkarrieren exemplarisch untersucht, die in der Planungs­wissenschaft in jüngerer Zeit eine Konjunktur erfahren haben: "Klimawandel" und "Schrumpfende Städte". Im Kern werden die Verläufe mit den ihnen immanenten inhaltlichen Bezügen, sozialen Prozessen, Akteurskonstellationen und institutionellen Arrangements beschrieben. Ein "Thema" wird im Rahmen des Forschungsvorhabens als ein inhaltliches und kommunikatives Bezugssystem und die "Themenkarriere" als sozial determinierter Entwicklungsprozess eines Themas verstanden. Eine Erweiterung dieser begrifflichen Fassung ist im Rahmen des Forschungsvorhabens insofern angestrebt, als dass auch die sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen bei der Themenkarriere betrachtet werden.

Arbeitsprogramm

Das Projekt konzeptualisiert Themenkarrieren auf Basis einer Phasenheuristik. Die Veränderungen von inhaltlichen Bezügen, Akteurskonstellationen, Institutionen und Interaktionsformen im Verlauf einer Themenkarriere können durch eine Einteilung in unterschiedliche Phasen in ihrer Komplexität zielführend erfasst, untersucht und dargestellt werden. Hierbei wird auf die Lebenszyklusmodelle der Kommunikations- und Politikwissenschaften zurückgegriffen, die Themenkarrieren in Phasen unterschiedlicher öffentlicher Aufmerksamkeit einteilen. Diese Modelle dienen als Bezugsrahmen, sie werden auf ihren theoretischen und empirischen Gehalt für die genannten Aspekte überprüft. Als Ausgangspunkt für die im Forschungsvorhaben vorgesehenen Analysen lassen sich vorerst vier Phasen ableiten:

  1. Latente Phase: Ein Gegenstand wird erstmals als ein Thema für die Raumplanung kommuniziert und in das Bezugssystem der Raumplanung übersetzt bzw. mit diesem verknüpft. In dieser Phase sind nur wenige Akteure beteiligt und das fachöffentliche Interesse ist gering.
  2. Durchbruchsphase: Einige wenige, wahrscheinlich fachlich besonders mit dem Thema assoziierte Akteure der Raumplanung widmen dem Thema Zeit und Ressourcen und erschließen es dem erweiterten Fachpublikum. Das Thema erlangt Aufmerksamkeit in der Fachöffentlichkeit und wird als neues inhaltliches und kommunikatives Bezugssystem in die Raumplanung integriert.
  3. Modephase: Das Thema wird von einer breiten (Fach-) Öffentlichkeit behandelt bzw. erforscht. Es wird „gemainstreamt“ und erhält verstärkt Einzug in die Institutionen der Raumplanung, etwa indem das Thema zum Gegenstand von Veranstaltungen, Forschungsförderprogrammen oder raumplanerischer Leitbilder erhoben wird. Es erreicht einen Kulminationspunkt.
  4. Ermüdungsphase: Das Thema verliert an Popularität. Bedenken und Gegenargumente finden jetzt ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit. Trotz der Ermüdung hat die Fachöffentlichkeit ein verändertes Verhältnis zu dem Thema gegenüber der latenten Phase. Es kann sporadisch wieder öffentliches Interesse erlangen; oder wichtige Aspekte werden mit einem neuen Thema verknüpft.

Nicht jedes Thema nimmt diesen idealtypischen linearen Verlauf. So ist z.B. davon auszugehen, dass einige Themen die zweite Phase nie erreichen. Allerdings zeigt sich für die hier gewählten Themen "Klimawandel" und "Schrumpfende Städte", dass die genannten Phasen - ggf. mit Ausnahme der Ermüdungsphase - empirisch beobachtbar und abgrenzbar sind.

Das Arbeitsprogramm richtet den Blick aus zwei unterschiedlichen Perspektiven auf die Themenkarrieren: Zum einen werden die inhaltlichen Sinnzusammenhänge analysiert, zum anderen wird der strukturelle Kontext mit dem Fokus auf akteursbezogene Aspekte beleuchtet. Diese beiden Perspektiven werden einerseits mithilfe einer Diskursanalyse und andererseits eines stärker akteursbezogenen Analyseansatzes verfolgt. Mittels der Diskursanalyse werden die inhaltlichen Sinnzusammenhänge in den Blick genommen. Aus diskurstheoretischer Perspektive wird dabei in den jeweiligen Phasen danach gefragt, welche sprachlich bedeutungsvollen Setzungen und inhaltlich-argumentativen Bezugssysteme in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen vorzufinden sind, wie darin die diskursive Verarbeitung der Metathemen "Klimawandel" und "Schrumpfung" für die Raumwissenschaften stattfindet und somit letztlich die Wahrnehmung und Bedeutung der Themen in den unterschiedlichen Phasen bestimmt. Der strukturelle Kontext wird dagegen mittels einer Netzwerk- und Akteursanalyse in den Blick genommen, die institutionentheoretisch inspiriert ist. Aus netzwerktheoretischer Perspektive werden die Beziehungsstrukturen der Akteure in den beiden Themenfeldern innerhalb der jeweiligen Phasen untersucht, um darauf aufbauend Erkenntnisse über den sozialen Prozess der Wissensproduktion im Verlauf der Themenkarriere zu gewinnen. Unter institutionentheoretischer Perspektive werden die Regelsysteme innerhalb der Planungs­wissenschaft und ihr Einfluss (z.B. durch Reputation und Sanktionen) auf das Handeln von Akteuren in den jeweiligen Phasen analysiert.

 

Projektbezogene Veröffentlichungen und weiterführende Literatur

  • Gravert, A. / Günzel, M. / Volkmann, A. / Wiechmann, T. (2013): Agenda Setting in der Planung. Zur Karriere von stadtplanerischen Modethemen. RaumPlanung 167: S. 21 - 26
  • Pallagst, K. / Wiechmann, T. / Martinez, C. (Hg.) (2013): Shrinking Cities: International Perspectives and Policy Implications. Routledge Advances in Geography Vol. 8, New York
  • Siedentop, S. / Wiechmann, T. (2007): Zwischen Schrumpfung und Reurbanisierung. Stadtentwicklung in Dresden seit 1990. RaumPlanung 131: S. 57 – 62
  • Wiechmann, T. (2008): Planung und Adaption. Strategieentwicklung in Regionen, Organisationen und Netzwerken. Verlag Dorothea Rohn: Dortmund.
  • Wiechmann, T. (2008): Errors expected – Aligning Urban Strategy with Demographic Uncertainty in Shrinking Cities. International Planning Studies, Special Issue on Demographic Changes and the New Landscapes for Planning 13 (4): S. 431 - 446
  • Wiechmann, T. / Pallagst, K. (2012): Urban shrinkage in Germany and the USA. A comparison of transformation patterns and local strategies. International Journal of Urban and Regional Research 36 (2): S. 261 - 280

 

Kontakt

Prof. Dr. habil. Thorsten Wiechmann
Tel.: 0231 755-5428
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Dr. Andreas Gravert
Dr. Marian Günzel
 

 

Projektlaufzeit: 10/2014 - 03/2018